Ayurveda-Therapien für das psycho-mentale Gleichgewicht

Artikel von Kerstin Rosenberg, Fachbereichsleiterin für Ayurveda- Psychologie und -Ernährung an der Europäischen Akademie für Ayurveda

Unser modernes Leben ist von vielen Belastungsfaktoren geprägt, die nicht nur die körperliche Gesundheit beeinträchtigen, sondern auch zu mentalen und psychischen Erkrankungen führen können. So leiden immer mehr Menschen unter stressbedingten und psychosomatischen Beschwerden, die eine psychotherapeutische Behandlung erfordern.

Ein großes Spezialgebiet der ayurvedischen Medizin ist die ganzheitliche Behandlung von psychisch belastenden Beschwerdebildern wie Depressionen, Burnout oder Schlafstörungen. Dabei baut der ayurvedische Therapieansatz für alle psychischen, psychiatrischen und stressbedingten Erkrankungen auf 3 Säulen: 1. Körperliche Maßnahmen zur Reinigung (Pancakarma) und Energiestärkung (Rasayana)
2. Psychologische Begleitung durch ayurvedische Gesprächstherapie (Sattvavayaja) 3. Heilkräuter (Medhya), Meditation und Gebet als unterstützende Maßnahmen des individuellen Heilprozesses

Nicht zu unterschätzen ist die Rolle der Ernährung für das psycho-mentale Gleichgewicht. Mit dem, was wir essen und wie wir es zubereiten, nehmen wir unmittelbaren Einfluss auf die Qualität der Gedanken, Gefühle und Belastungsfähigkeit des Geistes. In diesem Sinne ist eine gesunde und auf die mentalen Bedürfnisse abgestimmte Ernährungsweise die beste Prävention gegen psychische und stressbedingte Erkrankungen. Bestehen jedoch bereits manifestierte Symptomatiken auf psychischer Ebene, so können auch gezielte Diäten und Heilkräuterrezepturen die Beschwerden lindern oder gar beheben.

Sattvavajaya ist die ayurvedische Psychologie, welche zusammen mit den rationalen Heilmethoden und spirituellen Therapien das Fundament der gesamten Ayurveda-Medizin darstellt. Um psychische Beschwerden im ayurvedischen Kontext zu verstehen und zu behandeln, ist es notwendig, die Grundlagen des Sattvavayaja zu kennen. Diese beschreiben detailliert die Natur, Funktionen und Störfaktoren des Geistes (Manas) sowie die seelischen Qualitäten (Atman, Buddhi) des Menschen, die wir hier nur einführend erläutern wollen, um Zugang zu den praktischen Therapiestrategien für das psycho-mentale Gleichgewicht zu ermöglichen.
 
Pathogene Faktoren des Körpers sind Vata, Pitta und Kapha, während Rajas und Tamas diejenigen des Geistes sind. Caraka Samhita, S ̈.I.57

Grundlagen der Ayurveda-Psychologie und Psycho-Diätetik

So wie unser Körper von den drei Doshas regiert wird, so bestimmen auch drei geistige Kräfte über mentale Gesundheit oder Krankheit. Die sogenannten Gunas werden auch als Doshas des Geistes bezeichnet und bestimmen mit ihren Ausprägungen die emotionalen und intellektuellen Qualitäten, Interessen, Schwächen und Stärken unserer Psyche. So basiert unsere gesamte mentale Konstitution (Manas-Prakriti) und deren Störungen (Manas-Vikriti) auf den drei Attributen des Geistes Tamas, Rajas und Sattva.

Sattva ist das lebenserhaltende Prinzip des Geistes und verkörpert den balancierten Ideal-Zustand der geistigen und seelischen Kräfte. Zeichnet sich eine Person durch einen hohen Sattva-Anteil in seiner Persönlichkeit aus, so verfügt er über ein freundliches und friedfertiges Wesen mit hohem moralischem Wertebewusstsein und geistiger Stärke.

Rajas steht für das Prinzip der Aktivität des Geistes. Der starke Wunsch nach Bewegung auf körperlicher und mentaler Ebene, emotionale Erregung in Form von Aggression und Leidenschaft sowie eine hohe Intelligenz sind typische Merkmale für rajasisch geprägte Persönlichkeit.

Tamas stabilisiert die Psyche und bewirkt eine Nicht-Aktivität des Geistes. So werden geistige Prozess von zu viel Tamas verlangsamt, was zu Ignoranz, mentaler und psychomotorische Trägheit sowie Neigung zu depressiven Tendenzen führt.
Eine Störung des Geistes beruht aus ayurvedischer Sicht immer auf einem Ungleichgewicht der drei Gunas. Dabei werden Rajas und Tamas als negative Attribute betrachtet, die den Geist destabilisieren und schwächen. Sattva hingegen hat die Fähigkeit, die Störfaktoren, welche durch ein Übermaß an Rajas oder Tamas entstehen, auszugleichen und damit die Psyche zu stabilisieren und zu stärken. In diesem Sinne basiert die gesamte Ayurveda-Medizin und -Psychologie für die psycho-mentale Gesundheit auf Sattva-fördernden Maßnahmen. Dazu zählen u.a. spezielle Ernährungsregeln (sattva ahara), Verhaltensempfehlungen (brahmacharya) und Kräuterrezepturen (medhya), welche die sattvischen Qualitäten des Geistes stärken.

Gunas Typische Eigenschaften und Merkmale der Persönlichkeit
Sattva moralische Stärke, Mitgefühl, Freundlichkeit, Geduld, Toleranz, Hilfsbereitschaft, Wahrhaftigkeit, Reinheit, Anpassungsfähigkeit, selten mentale Störungen, Freude am Studieren und gutes Wissen, gutes Gedächtnis, Zufriedenheit
Rajas Ungeduld, viele Wünsche und Begehrlichkeiten, Unzufriedenheit, Leidenschaft, Habgier, Trauer, Intoleranz, Eifersucht, Ängstlichkeit, Aggression, Pessimismus, Kritiksucht, Großes Ego, starkes Verlangen nach Attraktionen und Ablenkungen
Tamas Ignoranz, Trägheit, wenig Temperament, Gier nach Primitivem, ausgeprägte Energielosigkeit und depressive Tendenzen, schwach ausgeprägte Intelligenz, Gedächtnisstörungen

 

Sattva-Chikitsa, die ayurvedische Psychotherapie, betrachtet psychische Erkrankungen wie Burnout, Ängste, Zwänge, Depressionen oder Schlaflosigkeit immer aus einem Ungleichgewicht von Rajas und Tamas sowie einem Mangel an Sattva. Ausgelöst von einer falschen Ernährung und Lebensweise, Überreizung der Sinnesorgane sowie mentalen Stressfaktoren werden die natürlichen Regulatoren des mentalen Gleichgewichts gestört. Ebenfalls beteiligt im psychopathogenen Prozess sind die Manohava Srotas, die Zirkulationskanäle für die subtilen, geistigen Prozesse. Werden durch emotionale Blockaden in ihrer Funktion behindert, so steigen Rajas oder Tamas an.

Psychische Erkrankungen benötigen in ihrer Behandlung eine differenzierte Diagnose und Therapie von Manas, dem Geist in seinen verschiedenen Funktionen. Diese führen mit ihrer Verbindung der Sinneseindrücke, Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen zu dem, was unsere individuelle Psyche ausmacht: Das wir die auf uns einwirkenden Eindrücke verarbeiten, bewerten und daraus resultierend Emotionen und Handlungen bilden.

Die vedische Philosophie und ayurvedische Psychologie betrachtet den Geist (Manas) immer in Verbindung zu den Sinnen und Motorik (Indriya) mit der Seele (Buddhi), in der die mit dem wahren Selbst (Atman) verbundene Unterscheidungskraft innewohnt. Höhere Einsichten und Erkenntnisse entstehen aus dem Zusammenschluss von Manas und Buddhi, die dazu ein sattvisches Milieu benötigen, um die positiven Entscheidungen (Buddhi) auch positiv umzusetzen (Manas).
Manas, der Geist hat fünf Ebenen, um seine Funktionen zu erfüllen:

  • Chintya – Informationen visualisieren, Aufzeichnen von Erfahrungen in Form von Gedanken
  • Vicharya – Verarbeitung von Informationen, das über Erfahrungen gesammelt wurde.
  • Uhya – auf der Basis der analysierten Informationen spekulieren, Hypothesen aufstellen, Gedanken formulieren
  • Dhyeya – zu fokussierten Schlussfolgerungen gelangen.
  • Sankalpya – sich mit kreativem Denken befassen

Damit Manas seine Funktionen in guter Qualität erfüllen kann, ist ein hohes Maß an Sattva erforderlich. Dominiert Rajas den Geist, so sind seine Gedanken zwar sehr aktiv aber uneffektiv, da die Weiterleitung der Informationen an Buddhi, das eigentliche Entscheidungszentrum gestört ist. Besteht hingegen zu viel Tamas, so sind die geistigen Prozesse verlangsamt oder gestoppt. Es findet keine Verarbeitung der Informationen statt, so dass es zu keinen Entscheidungen und Handlungsimpulsen kommen kann.

Buddhi, die unterscheidende Fakultät des Geistes, ist der wichtigste Aspekt im psychotherapeutischen Prozess, da alle psychischen Erkrankungen aus Buddhi resultieren. Entsprechend unserer individuellen Lebensgeschichte mit allen Erinnerungen und Erfahrungen der Vergangenheit hat jeder Mensch sein ganz eigenes „Bewertungsraster“ angelegt, aus dessen Perspektive alle aktuellen Informationen und Erlebnisse bewertet werden. Ist das Unterscheidungsvermögen (Buddhi) durch schmerzhafte und nicht verarbeitete Erlebnisse oder Traumata negativ gefärbt, so erhält Manas automatisch falsch bewerte Informationen, die zu leidvollen und krankhaften Gedanken, Gefühlen, Erregungszuständen oder Wahnvorstellungen führen können.

Heilansätze der ayurvedischen Psychotherapie

Die ayurvedische Psychotherapie baut ihren Heilansatz auf zwei elementare Qualitäten von Manas auf: Einheit und Subtilität.

Einheit ist die Eigenschaft des Geistes, sich immer nur auf eines konzentrieren zu können. Im Rahmen von Psycho-Pathologien fixiert sich der Geist auf negatives, was ihn zu seinen Störungen führt. Nun wird versucht, diese Fixierungen mit Hilfe von Gedankenkontrolle und -Transformation zu lösen und den Geist auf Positives zu lenken. Gelingt es, die Aufmerksamkeit auf Sattva-stärkende Impulse zu richten, so können die krankhaften Prägungen transformiert werden.

Subtilität beschreibt die feinstoffliche, alles durchdringende Kraft der Erinnerungen, Gedanken und Gefühle, die sich nicht einfach ausschalten lassen und das psycho-mentale Wohlbefinden oftmals quälend belasten. Speziell dann, wenn sich der Geist in einem schwachen, gestressten Zustand befindet, ist seine Widerstandsfähigkeit gegen negative Einflüsse geschwächt und die Gefahr einer erneuten Fixierung auf krankmachende Faktoren besonders hoch.

Mit sattva-stärkenden Ernährungs- und Verhaltensregeln kann sich die Psyche aus ihrem schwachen Zustand (avara) zu mittlerer Kraft (madhyam) bis zu einem starken Geist (pravara) entwickeln. Elementar in der sattvischen Ernährung ist eine frische, naturreine und vegetarische Kost, welche liebevoll zubereitet und in einer ruhigen Atmosphäre eingenommen wird. Zudem zeichnen sich einige Nahrungsmittel durch einen besonders Satta-förderlichen Einfluss auf das psycho-mentale Wohlbefinden aus.

Nahrungsmittel, die besonders gut Sattva stärken

  Besonders empfehlenswerte Nahrungsmittel Spezielle Wirkung
Früchte Datteln, Rosinen, Granatapfel, Trauben, Feigen Steigern die geistige Belastungs- und Leistungsfähigkeit
Gemüse Blattgemüse, Flaschenkürbis, Schlangengurke, Bittergurke, Zucchini, Süßkartoffel, Yams Bittere Gemüse fördern die geistige Aktivität und Klarheit
Getreide Gerste, Weizen, Reis Sind leicht verdaulich und fördern die Zufriedenheit
Hülsenfrüchte Mungbohnen, rote Linsen Stärken Körper und Geist
Nüsse Mandeln, Walnüsse nähren das Gehirn
Öle/Fette Ghee, Butter, Sesamöl bauen Ojas auf und nähren den Geist
Gewürze Ajwein, Hing, Rosmarin, Bockshornkleesamen, Ingwer beruhigen Vata, reduzieren Tamas und fördern das Bewusstsein
Sonstiges Milch, Honig, ayurvedische Buttermilch Milch ist das wertvollste Nahrungsmittel zum Aufbau von Sattva und Ojas